Kolloquium: Schreiben der Dritten Generation.

9. November 2015, Blue Square, Raum 4/02

Die Literatur von Schriftstellern der sog. Dritten Generation kann sich nur noch mittelbar auf authentische Holocausterfahrungen berufen. Es ist eine Literatur von Autoren, die der Enkelgeneration angehören, einer Generation also, deren Großeltern in irgendeiner Form in Verbindung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus standen und deren Eltern die Traumata ihrer eigenen Kindheit unausgesprochen auf ihre Kinder bzw. Enkel übertragen haben. Die Auseinandersetzung mit den Folgen der Geschichte wird zum Gegenstand der Auseinandersetzung der Nachgeborenen. In einer Zeit, in der die ›authentischen‹ Erinnerungsmöglichkeiten durch den Tod der letzten überlebenden Zeugen zunehmend wegfallen, stellt sich die Frage, auf welche Weise die Erinnerung an das geschichtlich Vergangene, an die Erfahrung von Gewalt und Tod wachgehalten werden kann. Interessanterweise sind es nicht nur die Enkel der Opfer, sondern auch die Enkel der Täter, die sich aus verschiedenen Perspektiven, aber in vergleichbarer Weise mit der Geschichte ihrer Vorfahren auseinandersetzen. Das Verhältnis der Generationen untereinander hat, gerät, so Sigrid Weigel, »in die Nähe biblischer Vorstellungen«. Als Erinnerungsdiskurs umfaßt das ›Schreiben der Dritten Generation‹ alle Bereiche der deutschen Geschichte, ausgehend Spätfolgen der Shoah-Erfahrungen, über das Verdrängen der nationalsozialistischen Verbrechen in den Nachkriegsgesellschaften bis hin zu den schwierigen Prozessen der Identitätssuche nach der deutschen Wiedervereinigung 1989/1990.

Die Literatur der Dritten Generation reagiert in besonderer Weise auf diese Herausforderungen: Sie ist als transgenerationell, transkulturell und transmedial zu beschreiben. Sie markiert in jeder Hinsicht die Schwelle eines Diskurswechsels und leitet damit die Erneuerung der Erinnerungskultur als ein ethisches Projekt für die zukünftigen Generationen ein: Wie und in welcher Form ist ein dauerhaftes Erinnern an die deutsche Geschichte, an das von Deutschland in verschiedener Weise ausgehend Unheil, möglich. Welche medialen, aber auch welche narrativen und diskursiven Formen entwickeln sich, um diese Erinnerungskultur nachhaltig zu transportieren. Der 9. November als komplexer Gedenktag an die deutsche Geschichte vor allem des 20. Jahrhunderts bieten Anlaß und Möglichkeit, die verschiedenen Themen und Formen der neuen Erinnerungskultur genauer in den Blick zu nehmen. Studierende der Komparatistik haben, unter Anleitung von PD Dr. Peter Goßens, Vorträge vorbereitet, und loten anläßlich des Gedenktages auf einem Kolloquium die Spannbreite der Erinnerungsversuche der Dritten Generation als Schreibphänomene einer neuen Weltliteratur aus.

Plakat

 

Die Vorträge sind öffentlich. Interessenten sind herzlich eingeladen!

Kurze Abstracts zum Inhalt der einzelnen Vorträge finden Sie hier.

 

Konzept und Organisation 

PD Dr. Peter Goßens

Sektion Komparatistik

Ruhr-Universität Bochum